Politik und SPNV – Messen mit zweierlei Maß

Kürzlich stellte die Schleswig-Holsteiner Landes-SPD einen Antrag (Drucksache 191/1243) für „Deutliche Verbesserungen für Pendlerinnen und Pendler im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) auf den Strecken der AKN und der S-Bahnen“. Im Antrag wird die Prüfung und Umsetzung diverser Taktveränderungen gefordert. Beispielsweise soll tagsüber (von 5 Uhr bis 23 Uhr) ein durchgehender 10-Minuten-Takt der nach Schleswig-Holstein führenden S-Bahnen (S1, S3 und S21) und auf den AKN-Linien A1 (Kaltenkirchen-Eidelstedt) und A2 (Ulzburg Süd – Norderstedt Mitte) eingeführt werden. Auch nachts (23 bis 5 Uhr) sollen diese Bahnen durchgehend überwiegend im 20-Minuten-Takt fahren.
Begründet wird dies mit bestehenden Kapazitätsengpässen und komplizierten 40-Minuten-Taktungen. Außerdem möchte man so mehr Pendler zum Umstieg vom Auto auf die Schiene bewegen.

So löblich und unterstützenswert das Ansinnen der SPD grundsätzlich ist, so ist natürlich auch allen Beteiligten klar, dass es sich dabei um einen reinen Schaufensterantrag handelt. Dem Antrag kann man eigentlich kaum widersprechen, weil die Absicht herausragend ist. Bei näherer Betrachtung fällt jedoch schnell auf, dass das Anliegen technisch und finanziell gar nicht umsetzbar ist. Denn weder haben AKN oder S-Bahn genügend Züge, um solche hohen Takte auf allen genannten Strecken zu realisieren, noch stehen die Kosten (genannt wurden etwa 26 Mio. EUR Betriebskosten pro Jahr allein für die AKN-Strecken ohne Anschaffungs- oder Unterhaltskosten der Züge) im Verhältnis zu den transportierten Fahrgästen.

Und so ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass die regierenden Parteien aus CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP einen Alternativantrag (Drucksache 19/1335) gestellt haben. Darin will man zunächst die Verkehrsströme in ganz Schleswig-Holstein erfassen und auswerten, um dann nach eigehender Nutzen-Kosten-Analyse zu beurteilen, ob und wo Änderungen an Taktfrequenzen Sinn machen. Während der SPD-Antrag also noch derart konkret formuliert war, dass die SPD sich damit als Förderer des SPNV profilieren kann, ist der Alternativantrag dann wiederum so allgemein gehalten, dass die Regierung einerseits nicht als der große Verhinderer dasteht und andererseits sich genügend Hintertürchen offen lässt, um letztendlich doch nichts oder nur wenig an den Taktungen zu ändern. Soweit die üblichen politischen Taktierereien.

Eigentlich wollten wir das Thema damit unkommentiert zu den Akten packen, bis wir uns die Landtagsdebatte zu dem SPD-Antrag angesehen haben.

Debatte vom 07.03.2019 im Schleswig-Holsteiner Landtag zum SPD-Antrag

Und während dieser Debatte sind so einige interessante Aussagen gefallen.

Thema: Taktverkürzung und Schrankenschließzeiten
Herr Vogel (SPD) erwähnt, dass es auch im Nachgang des Projektes zu einer Takterhöhung auf der Strecke der S21 (Kaltenkirchen-Eidelstedt) kommen kann, wenn die entsprechende Nachfrage da ist. Auch wenn wir bezweifeln, dass es kurzfristig eine entsprechende Nachfrage geben wird, sind diese politischen Gedankenspiele doch recht interessant. Insbesondere weil voraussichtlich kaum Lärmschutz an der Strecke eingeplant wird, auf den die Anwohner bei Takterhöhungen aber durchaus Anspruch hätten. Schade, dass hier wieder viel zu kurz gedacht und nicht vorausschauend geplant wird.

Weiter führt Herr Vogel aus, dass es im Bereich des Bahnübergangs Ellerau eine „intelligente Schrankenlösung“ geben wird, welche die Schrankenschließzeit verkürzt. Frau Krämer (FDP) spricht fälschlicherweise von 30 Sekunden. Tatsächlich kommt es mit Projektrealisierung zwar zu einer Verkürzung der Schrankenschließzeit aufgrund einer Änderung in der Signaltechnik. Diese beträgt gemäß Gutachten bei Zügen aus Hamburg aber maximal 10 Sekunden und bei Zügen aus Kaltenkirchen etwa 3 Sekunden, sind also derart minimal, dass es zu keiner nennenswerten Verbesserung in dem Bereich kommen wird. Im Gegenteil: Das Gutachten attestiert mittelfristig, selbst bei gleichbleibender Taktung, deutlich zunehmende Verkehrsprobleme. Eine Taktverdichtung wäre an der Stelle ohne bauliche Veränderungen daher gar nicht realisierbar und würde auch an den vielen anderen Bahnübergängen entlang der Strecke zu starken Problemen führen.

Thema: Verlagerung vom Auto auf die Schiene
Der Wirtschafts- und Verkehrsminister Dr. Buchholz weist in seiner Rede auf den sogenannten „Modal Split“ hin. Also das Mobilitätsverhalten von Personen, welches von Verkehrsangebot und wirtschaftlichen Entscheidungen abhängig ist. Um Menschen von einem Umstieg vom Auto auf die Bahn zu bewegen, ist nicht die Taktung entscheidend, so der Minister, sondern die Reisezeit. Nur wenn die Reisezeit im ÖPNV insgesamt kürzer ist als mit dem Auto, kann man ausreichend Pendler dazu bewegen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren.
Und im Hinblick auf das Projekt S21 sagt Herr Dr. Buchholz dann: „Das ist übrigens auch ein bisschen die Krux beim Thema S21. Weil so wahnsinnig bei der S21 sich eben die Reisezeit nicht verbessert.“ [Update: Diese und diverse weitere Aussagen zu Reisezeiten wurden aus dem Video mittlerweile vom Wirtschaftsministerium entfernt.]
Für diese Aussage können wir nur Respekt zollen. Für die Strecke Kaltenkirchen – Hamburg-Hauptbahnhof benötigt man mit dem Auto derzeit, je nach Verkehrssituation, etwa 40 bis 50 Minuten. Für die gleiche Strecke benötigt man knapp über eine Stunde mit AKN und S-Bahn bzw. U-Bahn. Mit der S21 wird es dann, abhängig von der Fahrtrichtung, eine bzw. drei Minuten Fahrzeitgewinn geben. Dies wird aber leider nicht reichen, um viele Pendler zum Umstieg vom Auto auf die öffentlichen Verkehrsmittel zu motivieren. Erst recht nicht, wenn in Kürze der 6-spurige Ausbau der fast parallel zur Strecke der AKN verlaufenden Autobahn A7 abgeschlossen ist.

Die Aussage zum Reisezeit-Modal Split wird von Minister Dr. Buchholz auf dem Blog des Wirtschaftsministeriums im Zusammenhang mit dem SPNV-Projekt „Hein Schönberg“ auch nochmal wiederholt.

Hier möchte der Minister hinterfragen, ob das Projekt bei der absehbaren Kostensteigerung und dem zu erwartenden Nutzen überhaupt noch sinnvoll ist. Richtig, Herr Buchholz! Gleiches gilt für die S21, wo die Kosten bereits von 90 Mio. auf 116 Mio. EUR angestiegen sind, obwohl sich das Projekt noch in der Planungsphase befindet. Auch hier sollte man darüber nachdenken, ob das Projekt in dieser Form noch Sinn macht und ob die Kosten nicht aus dem Ruder zu laufen drohen. Alternativen verschiedenster Art gibt es zahlreiche…viele davon deutlich günstiger.

Thema: Strategische Untersuchung
Herr Dr. Tietze (B90/Grüne) kritisiert den ehemaligen Wirtschaftsminister Meyer und dessen Staatssekretär Nägele dafür, dass nicht bereits viel früher mit einer umfassenden Untersuchung der Verkehre angefangen wurde. Dieser Kritik schließen wir uns an. Sicher wären bei einer genauen Analyse die Verzahnungsmöglichkeiten mit der geplanten U-Bahn-Verbindung von Ulzburg Süd nach Norderstedt und dem geplanten Bahnhof Altona Nord aufgefallen. Man hätte gemerkt, wie gering die Fahrzeitverkürzung durch die S21 ist. Und man hätte festgestellt, dass Verbesserungen für die Pendler rund um Hamburg auch mit deutlich geringeren finanziellen Mitteln möglich wären.
Stattdessen hält man, trotz aller offensichtlicher Warnzeichen, verkrampft am Luftschloss „S21“ fest.

 

1 Gedanke zu „Politik und SPNV – Messen mit zweierlei Maß“

  1. Moin!

    „Insbesondere weil voraussichtlich kaum Lärmschutz an der Strecke eingeplant wird, auf den die Anwohner bei Takterhöhungen aber durchaus Anspruch hätten.“

    Welche Grundlage hat das? An der Bahnstraße fällt mit dem Verzicht auf den zweigleisigen Ausbau offenbar der Anspruch auf Lärmschutz weg – weshalb ein Bekannter (Fachplaner, nicht an der AKN/S21 beteiligt) sich über den Jubel der Anwohner wunderte. Stichwort: Pyrrhussieg. Das zweite Gleis ist verhindert, aber der Lärmschutz ist damit zur Verhandlungsmasse geworden. Mit Pech fahren die Züge nachts alle 20 Minuten auf dem einen bestehenden Gleis durch die Vorgärten der Anwohner ohne Lärmschutz. Die Genehmigung der Bahn ist älter als die Häuser und enthält keine Beschränkungen.

    „Sicher wären bei einer genauen Analyse die Verzahnungsmöglichkeiten mit der geplanten U-Bahn-Verbindung von Ulzburg Süd nach Norderstedt und dem geplanten Bahnhof Altona Nord aufgefallen. Man hätte gemerkt, wie gering die Fahrzeitverkürzung durch die S21 ist.“

    Die Verlängerung der U-Bahn bis Ulzburg Süd ist recht sicher vom Tisch. Die Hamburger Hochbahn hat Kosten im deutlich dreistelligen Millionenbereich kalkuliert, weil dazu mehrere Brücken/Tunnel, ein kilometerlanges Gütergleis und der komplette Bahnhof Ulzburg Süd neu gebaut werden müssten. Dabei wäre der Nutzen der Verlängerung bis Ulzburg Süd laut Hochbahn-Verkehrsmodell kaum besser als bei einer U1-Verlängerung nur bis Quickborner Straße zu etwa 75 Millionen Euro Kosten. Dabei würde sich die Fahrzeit bei der U-Bahn-Verlägerung überhaupt nicht verkürzen.

    Altona-Nord sieht weiter nach Baustopp aus, da wird sich bald auch nichts tun.

    Das Problem an Ihrer Kostenargumentation ist: Sämtliche Alternativvorschläge, die ich bis jetzt gehört habe, sind auch nicht besser. Es ist argumentativ nicht nachvollziehbar, warum eine 100 Mio. € teure S21 bis Kaltenkirchen mit 5 Minuten kürzerer Fahrzeit schlecht sein soll, eine 150 Mio. € teure U1 nur bis Ulzburg Süd und 0 Minuten kürzerer Fahrzeit hingegen eine überlegenswerte Alternative.

    „Und man hätte festgestellt, dass Verbesserungen für die Pendler rund um Hamburg auch mit deutlich geringeren finanziellen Mitteln möglich wären.“

    Welche Vorschläge haben Sie?

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