Auto oder Bahn? Auch eine Zeitfrage!

Herr Buchholz, Schleswig-Holsteins Minister für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus, hat sich kürzlich auf dem Blog des Wirtschaftsministeriums zu Kosten und Nutzen von Schienenpersonennahverkehr (SPNV)-Projekten geäußert.

In dem Video trifft er diverse Aussagen zum Schienenpersonennahverkehr (SPNV) in Schleswig-Holstein. Die S4 und die S21 seien zwar wichtige Projekte, so der Minister, die Kriterien für eine Realisierung müssen aber schon sein, dass man möglichst viele Menschen vom PKW auf die Schiene verlagert bekommt. Oder anders gesagt: Dass man möglichst viel Verlagerung für die eingesetzten Euros erhält.

Bei dem sogenannten Modal Split wisse man jedoch, dass die Menschen umso eher vom motorisierten Individualverkehr (MIV) auf den ÖPNV wechseln, je kürzer die Reisezeit beim ÖPNV im Verhältnis zum Auto ist. Dort wo man schneller und mit einem vernünftigen Angebot hinkommt, bewirke es am Meisten, so wie es im Hamburger Rand im Wesentlichen schon der Fall ist.

Wenn ein Projekt sich erheblich verteuert (Anm.: wie es auch bei dem Projekt S21 eingetreten ist), dann müsse man sich die Frage stelle, ob dies noch sinnvoll ist und ob alles noch ein richtiges Kosten-Nutzen-Verhältnis ergibt. Denn letztendlich möchte man erreichen, dass mit dem eingesetzten Geld das Meiste und das Beste für die Menschen in Schleswig-Holstein erreicht werde, damit noch mehr am SPNV teilnehmen.

Fahrzeitvergleich Kaltenkirchen-Hamburg

Diese Aussagen des Ministers sind nachvollziehbar und zeugen von einem realistischen, unverklärten und faktenbasierten Blick auf Infrastrukturprojekte.

Wir haben diese Aussagen mal zum Anlass genommen und die Fahrzeiten von PKW und ÖPNV auf der Strecke von Kaltenkirchen/Quickborn zu verschiedenen Zielen in und um Hamburg gegenübergestellt. Das Ergebnis ist ernüchternd.

Ein paar Erläuterungen zur Tabelle:
Die PKW-Fahrzeiten wurden durch Google-Maps aufgrund aktueller Reisezeiten/Beobachtungen ausgewertet und zur besseren Vergleichbarkeit wurde als Startpunkt der Bahnhof Kaltenkirchen bzw. Quickborn und der jeweilige Bahnhof/Fähranleger als Ziel gewählt. Je nach Uhrzeit, Verkehrsaufkommen, Baustellensituation und Staulagen kann es zu Schwankungen bei der PKW-Reisezeit kommen (insbesondere zur Hauptverkehrszeit). Allerdings ist zu erwarten, dass sich die Baustellensituation und die Staulagen in HH mit Fertigstellung des A7-Ausbaus deutlich verbessern werden, mit der Folge kürzerer PKW-Fahrzeiten.

Die Fahrzeiten im ÖPNV wurden mittels Online-Fahrplan auf hvv.de ermittelt. Dabei wurden Fahrten mit der AKN, S-Bahn und U-Bahn bevorzugt. Beim Fahrziel „Teufelsbrück“ ist auch ein Umstieg in den Bus unvermeidbar. Fußwege und Anfahrten zu und von den Bahnhöfen sowie Wartezeiten aufgrund möglicher Verspätungen sind in den Zeiten nicht enthalten. Diese würden zu einer weiteren Steigerung der PKW-Attraktivität beitragen, da der PKW-Nutzer (im Regelfall) unmittelbar von Tür zu Tür fahren kann.

Ergebnis & Fazit

Nur bei 3 von 40 betrachteten Verkehrsbeziehungen ist man von Bahnhof zu Bahnhof mit dem ÖPNV ähnlich schnell oder geringfügig schneller unterwegs als mit dem PKW. Dies ist vor allem den vielen Haltestellen auf der Strecke Kaltenkirchen-Eidelstedt und der beinahe parallelen Lage an der Autobahn A7 geschuldet.

Natürlich ist der Faktor Zeit nicht das einzige Kriterium. Jeder Fahrgast/Pendler prüft eine Verkehrsbeziehung in der Regel hinsichtlich Komfort, Angebot, Fahrzeit, Kosten und ökologischer Aspekte. Trotz stets steigender Ticketpreise ist der ÖPNV meist die günstigere Alternative, insbesondere wenn man neben dem Spritverbrauch auch Anschaffung, Verschleiß, Versicherung und das höhere Unfallrisiko des eigenen PKW mit einrechnet. Auch ist die Fahrt mit dem ÖPNV in der Regel stressfreier, umweltfreundlicher und bietet die Möglichkeit Dinge zu tun, die man als Autofahrer dringend unterlassen sollte, wie die aktuellste Zeitung zu lesen oder das Handy zu nutzen.

Andererseits ist man im Auto unabhängig von ÖPNV-Fahrzeiten, kann häufig direkt von Tür zu Tür fahren, erspart sich somit einige Fußwege bei Wind und Wetter und muss sich nicht mit wildfremden Menschen auf engstem Raum arrangieren.

Und eben das Abwägen dieser Für und Wider sorgt dafür, dass man sich dann für das eine oder andere Verkehrsmittel, oder auch für eine Kombination aus Beiden, entscheidet. Dabei möchten wir hier an dieser Stelle gar nicht für oder gegen irgendein bestimmtes Verkehrsmittel plädieren. Dies ist auch gar nicht möglich, weil jeder seine Prioritäten ganz individuell für sich festlegt.

Bezugnehmend auf die Fahrzeit ergeben sich (selbst in der Hauptverkehrszeit) zu den Hauptpendlerzielen in Hamburg aber kaum Vorteile für den ÖPNV. Da die Fahrzeiten durch den S21-Ausbau praktisch keiner Änderung unterliegen, bleibt die Aussage der Gegenüberstellung auch für den Ausbaufall (Mitfall) bestehen. Im Gegenteil: Betriebsstörungen aus dem Hamburger Stadtgebiet werden sich im Mitfall (= Ausbau) in die S21-Ausbaustrecke fortsetzen, die heute noch S-Bahn-unabhängig von der AKN befahren wird.

Für Pendler entlang der A1-Linie bleibt die Nutzung des PKW die zeitlich deutlich attraktivere Verkehrsmittelwahl. Das Projekt „S-Bahn bis Kaltenkirchen“ ist daher kein geeignetes Mittel zur Förderung des ÖPNV oder zur Gewinnung neuer Pendlergruppen.

Ob der einzig verbleibende echte Pluspunkt des Projekts, nämlich der Wegfall des Umsteigezwangs auf dem ungemütlichen Bahnhof Eidelstedt für einen Teil der Pendler, wirklich zu nennenswerten Fahrgastzuwächsen führt, ist mit unseren Mitteln nicht nachweisbar. Dass dies jedoch einen massiven Einfluss auf die Verkehrsmittelwahl hat, wagen wir zu bezweifeln. Auch ob dies allein den Einsatz von 120 Mio. EUR an Steuergeldern rechtfertigt, wenn beispielsweise eine Wasserstoff-AKN bis Altona deutlich günstiger zu realisieren wäre.

3 Gedanken zu „Auto oder Bahn? Auch eine Zeitfrage!“

  1. Moin,

    Google „lügt“. Ich habe bin persönlich mehrmals die Strecke Henstedt-Ulzburg / Hammerbrook mit dem Auto gefahren, jeweils im Berufsverkehr (7:30 Uhr bzw 16:30 Uhr Abfahrtszeit). In keinem von 10 Fällen war ich signifikant unter 1 Stunde unterwegs; von der Parkplatzsuche, die gerne 15 Minuten oder mehr in Anspruch nehmen, mal ganz abgesehen.

    • HVV.de „lügt“ auch, denn ich bin die letzten Male mit der Bahn nicht pünktlich, wie im Fahrplan vermerkt, an mein Ziel gekommen, weil die S-Bahn Verspätung hatte und Anschlusszüge weg waren. So what?

  2. Moin!

    Es ist richtig, dass die Fahrzeit der S21 nicht grandios werden wird. Sprich: schneller als mit dem Auto auf freier Strecke. Gleichwohl gibt es in Ihrer Aufstellung methodische Schwächen, die Sie ja auch teilweise erwähnen:

    1. Fahrzeit ist nicht alles. Bei sehr guten 15 Ct/km kostet das tägliche Pendeln (230 Arbeitstage/Jahr) aus Kaltenkirchen in die Hamburger Innenstadt (39 km) mit dem Auto knapp 2.700 Euro. Die Bahn macht’s mit dem HVV-Jobticket (ProfiTicket 3 Ringe) selbst ohne jeden Arbeitgeber-Zuschuss für 86,30 Euro/Monat, also 1.035 Euro im Jahr. Mit 1.700 Euro jedes Jahr kann man schöne Dinge tun. Dazu kommen noch eventuelle Parkgebühren.

    Wenn mit der S21 die Fahrzeit Kaltenkirchen zum Hauptbahnhof nur noch etwa 10 Minuten länger ist als mit dem Auto (im Schnitt!) und man nicht nur diese 10 Minuten, sondern die ganze Stunde lesen, dösen,… kann, statt im A7-Stau zu stehen, spricht doch einiges für die Bahn.

    2. Die Google-Maps-Fahrzeit hat eine extreme Spanne. Um 8 Uhr von Kaltenkirchen morgen früh nach Hamburg Hbf mit dem Auto sind es „zwischen 40 und 80 Minuten“ in der Prognose. Na, Glückwunsch! Bei der Zuverlässigkeit würde sich selbst die DB Fernverkehr schämen. Wann fahren Sie bei der Prognose los, müssten Sie pünktlich um 8 Uhr am Arbeitsplatz sein? Um 7 Uhr (Mittelwert) oder doch eher um 6.40 Uhr? Der Mittelwert nutzt vielen Menschen gar nichts.

    3. Die Fahrzeit vergisst entscheidende Komponenten: Kaum jemand wohnt neben dem Bahnhof und kaum jemand kann in der Hamburger Innenstadt sein Auto einfach neben die Tür stellen. Schon gar nicht an Stellen wie in Teufelsbrück, wo Parkplätze oft Mangelware sind. Es fehlen Parkplatzsuchzeiten und Fußwege im Zu-/Abgang.

    4. Sie betrachten allein den Status Quo und ignorieren absehbare Entwicklungen. Für den Autoverkehr nach Hamburg rein wird es in Zukunft schwieriger. Es gibt keinen Platz für zusätzliche Fahrspuren auf den Hauptstraßen und keinen Platz für weitere Parkplätze in den Quartieren. Hingegen werden Flächen für andere Nutzungen gebraucht, und weil die Häuserschluchten nicht breiter werden, wird das zulasten des Autoverkehrs gehen. Das Auto wird in Zukunft, ändert sich an der Meinung in Hamburg nicht etwas um 180 Grad, weniger Platz haben, die Parkplätze werden teurer und seltener.

    Sie ignorieren darüber hinaus auch Entwicklungen im Hamburger Schnellbahnnetz. Die U5 wird, so die Planungen bei der Hochbahn, in Stellingen an die S-Bahn anschließen. Bleibt es beim Status Quo, müssen Ellerauer Hamburg-Pendler erst mit der AKN bis Eidelstedt fahren, auf die S-Bahn warten, eine Station weiter bis Stellingen und gleich wieder umsteigen, um zu U5 zu kommen.

    „Im Gegenteil: Betriebsstörungen aus dem Hamburger Stadtgebiet werden sich im Mitfall (= Ausbau) in die S21-Ausbaustrecke fortsetzen, die heute noch S-Bahn-unabhängig von der AKN befahren wird.“

    Vorteil S21: Betriebsstörungen im Hamburger Stadtgebiet werden im Mitfall nicht mehr zu Anschlussverlusten führen, wie sie täglich auftreten.

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